Rezept für das perfekte IT-Desaster: So ruinierst Du verlässlich dein nächstes Enterprise IT-Projekt

Werner Seidel
23 Feb 2025
  • Ergibt: Ein gescheitertes Großprojekt
  • Vorbereitungszeit: Monate bis Jahre
  • Ergebnis: Frustration, Kündigungen, ein Millionengrab und ein Post-Mortem-Meeting voller Ausreden „Jeder hat ja irgendwie doch allesrichtig gemacht“

Zutaten für das perfekte Scheitern Deines Enterprise IT-Projekts

  • 1 utopische Kosten- und Zeitschätzung
    Ein fantasievolles Budget von z.b. €20 Millionen und 24 Monate für die     Modernisierung eines Kernbankensystems – die wenigen Experten, die wissen wollen, dass das Unsinn ist, mundtot machen, grad jetzt wo die AI auch immer besser wird, kann das doch kein Problem sein
  • 1 Hydra als Auftraggeber
    Am besten ein Team mit Vertretern aus allen wesentlichen Geschäftsbereichen mit widersprüchlichen Prioritäten – Kosten senken, Compliance und Datenschutz sichern und gleichzeitig innovativ sein. Natürlich ohne klare Richtung, weil es ist ja wirklich alles wichtig
  • 1 großzügige Prise Methodik- und Zertifizierungsfanatismus
    Entscheide Dich für Scrum, SAFe oder Wasserfall und glaube religiös daran, dass sich damit Deine Probleme lösen. Ein Projektleiter, der keinerlei tiefes Verständnis für IT, Architektur oder fachliche Zusammenhänge hat, aber alle möglichen Zertifizierungen vorweisen kann, kann hier wahre Wunder bewirken
  • Vage oder unendliche Deadlines
    Am besten möglichst lange keine echten inhaltlichen Meilensteine auf einer     Produktionsumgebung  – umgesetzte Story Points und Velocity-Kennzahlen reichen völlig
  • 1-5 entscheidungsschwache(r) Product Owner
    Eine Marionette ohne Befugnis, die sich vor schnellen Entscheidungen fürchtet und jede Frage an unterschiedliche Teams oder Experten weiterleitet, noch besser ist es natürlich gleich mehrere Product Owner zu installieren, die möglichst keinem gemeinsamen Ziel folgen
  • 1 überhypter externer Partner
    Wähle einen schicken Beratungskonzern, der 100 Spartaner verspricht, aber eine bunte Truppe Team aus Anfängern geführt von 2 Veteranen liefert.
  • 1 inhaltlich ahnungsloses Entwicklerteam
    Ideal, wenn die Developer das Ziel nicht verstehen – noch besser, wenn sie     nie ein Kernbankensystem gesehen oder von eigentlichen Kunden- und Compliance prozessen noch nie gehört haben
  • Eingeschränkter Datenzugang
    Sperre den Zugriff auf echte Legacy-Daten, kennt sich sowieso keiner aus mit dem alten Cobol, CICS, VSAM, DL1 oder DB2 Schrott – stattdessen gibt es synthetische Testfälle und grobe User Stories, die die wahre Komplexität bis zum Schluss verbergen, außerdem kann man so mühsame Diskussionen mit der Security-Abteilung elegant vermeiden

Zubereitung

  1. Mit einer Fantasieplanung starten
    Beginne mit einer absurden Schätzung:  20 Millionen und 24 Monate für eine Modernisierung des alten Kernbankensystems.

    Baue Zeitpläne und Budget darauf auf und ignoriere die wenigen Stimmen, die wissen, dass das eine Illusion ist.

    Falls Experten warnen? Mit Optimismus oder Bürokratie ersticken.
  2. Das Team ins Chaos schicken
    Gib den Entwicklern den Auftrag zur „Modernisierung“, ohne zu erklären, was das für SWIFT, Kreditprozesse oder regulatorische Anforderungen bedeutet.

    Lass sie iterativ vorgehen.
  3. Den Product Owner lahmlegen
    Setze jemanden ein, der auf jede Frage mit „Ich kläre das mit der zuständigen Fachabteilung“ antwortet.

    Lass die Entscheidungsfindung köcheln, bis sich alle im Kreis drehen, oder das Thema ganze vergessen wird
  4. Datenzugang verweigern – Security und DSGVO First
    Sperre den Zugriff auf echte Legacy-Daten.

    Füttere das Team mit synthetischen Testfällen, die alle Probleme verbergen.

    Erst auf der Produktionsumgebung kracht es wirklich schön
  5. Deadlines eliminieren
    Fokussiere Dich möglichst lange ausschließlich     auf Story Points, Velocity- und Burndown Charts

    Halte Dich fern von technisch, fachlichen Argumenten     die hier schlechte Stimmung verbreiten könnten – Inhalte sind überbewertet
  6. Zertifikats-Hero machen lassen
    Lass den Projektmanager auf Basis der Fantasieplanung los, vollgestopft mit Zertifikaten, aber ohne Ahnung vom eigentlichen Scope bzw. von Banking, Legacysystemen oder     Softwareentwicklung kann er wahre Wunder bewirken

    Ergebnis: Prozess schlägt Realität.
  7. Den Methodenkult entfesseln
    Verordne strikten Scrum, SAFe oder Waterfall,     unabhängig davon, ob es passt. Sorge dafür, dass Meetings und Methodik wichtiger     sind als Fortschritt.

    Wenn hier jeder alles ganz korrekt & richtig     macht, wird am Ende sicher alles gut werden!
  8. Bottleneck-Blindheit kultivieren
    Sorge dafür, dass Deployments durch Compliance, Checklisten,     Audits und Sign-off-Hürden nicht zu einfach werden

    Ignoriere möglichst lange, dass Du wegen „High-Level User Stories”, alter Legacy-Daten und „versteckten“ Anforderungen letztlich einen Brute-Force-Ansatz mit hunderten Deployments     brauchen wirst

    Zwei-Wochen-Zyklen für Deployments auf eine Integrationsumgebung sind perfekt!
  9. Die Auftraggeber Hydra entfesseln
    Gerade jetzt wo es endlich mal wieder ein Großprojekt der Organisation gibt, sollten wirklich alle Bereiche, Abteilungen und Stabstellen gleichberechtigt ihre Wünsche und Anforderungen einwerfen dürfen

    Jede Fachabteilung hat abteilungsintern Anforderungen gesammelt, Compliance fordert Audits, Finance spart bei den Entwicklernotebooks, IT-Operations  pocht auf alle alten und neuen Checklisten, Datenschutz sieht die DSGVO-Goldmedaille in Reichweite

    Vertrau das alles Deinem super zertifizierten, inhaltsbefreiten Projektmanager an – der weiß was er damit macht
  10. Den Spartaner-Trick anwenden
    Hol dir den hochgelobten externen Partner, der     dein Problem angeblich lösen kann

    Seine wenigen, wirklich teuren Experten verschwinden schnell, während die Junior-Truppe mit günstigeren Stundensätzen übernimmt

    Lehne Dich entspannt zurück, wenn Du siehst, dass     Projektmanager und Umsetzungspartner bei den Fortschrittsberichten gut harmonieren – bald ist der Point of no Return erreicht - wenn du einmal 15 Millionen ausgegeben hast, und eigentlich niemand wissen konnte, dass alles irgendwie viel komplizierter geworden ist, bleibst du dabei –     und akzeptierst am Ende auch 40 Millionen
  11. Backen, bis verbrannt
    Schiebe das Projekt in einen Hochdruck-Enterprise-Ofen – idealerweise mit einer Banking-Konferenz wo     der Vorstand am Podium sitzt als Deadlinedruck.

    Ignoriere den Gestank von explodierenden Meilensteinen, Kündigungen und sich verdreifachenden Kosten.

    Backe, bis ein echtes Desaster herauskommt, das     auch dem Lenkungsausschuss zu viel wird

Serviervorschlag

Präsentiere das gescheiterte Projekt mit einer schicken PowerPoint-Folie voller Ausreden:  

„Unvorhersehbare Komplexität“  
„Probleme mit externen Partnern“  
„Scope Creep“  

Als Beilage: Ein bitteres Glas Enttäuschung – niemand     ist überrascht, aber alle sind frustriert, weil doch jeder in seinem     Bereich alles richtig gemacht hat.

Zum Schluss noch ein kleiner Auszug an gescheiterten IT-Projekte der letzten Jahre aus den Bereichen Banken, Handel, Industrie und Verwaltung, damit Du siehst, dass Du nicht allein bist:


  1. Postbank und Deutsche Bank Integration (Projekt "Magellan" und "Unity"):
       
    • Branche: Banken
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    • Beschreibung: Nach der Übernahme der Postbank durch die Deutsche Bank im Jahr 2010      sollten die IT-Systeme beider Banken auf eine gemeinsame Plattform      migriert werden. Das Projekt "Magellan" wurde 2015 eingestellt, nachdem bereits über 1 Milliarde Euro investiert worden waren. Ein späterer Versuch mit dem Projekt "Unity" führte zu erheblichen Problemen für Millionen von Kunden.
    •  
    • QuelleCloudComputing-Insider
  2.  
  3. Lidl Warenwirtschaftssystem (Projekt "Elwis"):
       
    • Branche: Handel
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    • Beschreibung: Lidl investierte sieben Jahre und rund 500 Millionen Euro in die Entwicklung eines neuen Warenwirtschaftssystems. 2018 wurde das Projekt aufgrund von Komplexitäten und Anpassungsschwierigkeiten gestoppt.
    •  
    • QuelleCloudComputing-Insider
  4.  
  5. Deutsche Post DHL (Projekt "New Forwarding Environment" - NFE):
       
    • Branche: Logistik/Industrie
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    • Beschreibung: Das Transformationsprojekt NFE sollte die IT-Systeme modernisieren. 2016      wurde es nach Investitionen von etwa 500 Millionen Euro eingestellt, da die Implementierung nicht den Erwartungen entsprach.
    •  
    • QuelleCloudComputing-Insider
  6.  
  7. Bundesagentur für Arbeit (Projekt "ROBASO"):
       
    • Branche: Öffentliche Verwaltung
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    • Beschreibung: Das 2010 gestartete Software-Projekt sollte 14 verschiedene Anwendungen auf einer Plattform bündeln. 2017 wurde es nach Ausgaben von rund 60 Millionen Euro gestoppt.
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    • QuelleCloudComputing-Insider
  8.  
  9. Allianz SE (Projekt "Syncier Marketplace"):
       
    • Branche: Versicherungen
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    • Beschreibung: 2018 startete die Allianz zusammen mit Microsoft eine cloudbasierte      Versicherungsplattform. 2022 wurde das Projekt eingestellt und an die Munich Re verkauft.
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    • QuelleCloudComputing-Insider
  10.  
  11. Telefónica Deutschland (Projekt "Geeny"):
       
    • Branche: Telekommunikation
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    • Beschreibung: 2016 gründete Telefónica Germany Next GmbH, um Anwendungen für Big Data      und IoT zu entwickeln. 2019 wurde das Projekt "Geeny" komplett verworfen.
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    • QuelleCloudComputing-Insider
  12.  
  13. Edeka (Projekt "Lunar"):
       
    • Branche: Handel
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    • Beschreibung: Ab 2007 versuchte Edeka, auf SAP umzusteigen. Das Projekt "Lunar" sollte 200 Millionen Euro kosten, endete jedoch 2012 mit Ausgaben von 350 Millionen Euro.
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    • QuelleCloudComputing-Insider

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